Wenn dein Großvater versucht hat, Hitler zu töten

„Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal von meinem Großvater erfuhr. In dieser Hinsicht unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht von den meisten Kindern, deren nahe Angehörige im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen. Darüber, dass unser Großvater versucht hat, Hitler zu töten und nach diesem Versuch selbst umgebracht wurde, wurden meine Geschwister und ich so früh und selbstverständlich aufgeklärt wie über andere Inhalte, die man mit dem Begriff „Aufklärung“ verbindet.“

Unser Klub Rassismus ablehnender Schülerinnen und Schüler (KRASS) begrüßte Sophie von Bechtolsheim am FLG. Sie las vor den Schülerinnen und Schüler der 11. und 12. Klassen aus ihrem Buch „Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter“. Der 20. Juli 1944, der Tag an dem ihr Großvater Claus Schenk Graf von Stauffenberg, das Attentat auf Hitler ausgeübt hatte, sollte auch ihr Leben von Kindesbeinen an beeinflussen.

Was macht es mit einem jungen Mädchen, wenn ihm das Konterfei des eigenen Opas aus dem Geschichtsbuch der Schule entgegenblickt? Wenn sich der „Enkelin von Stauffenberg“ auf einer Gedenkveranstaltung alle Blicke zuwenden und der Bundeskanzler persönlich ihr die Hand schüttelt? Sophie von Bechtolsheim berichtet einfühlsam, wie sie sich der besonderen Rolle ihrer Familie immer bewusster wird, als Teenager beginnt, Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus zu verschlingen und sich später sogar für das Studium der Geschichte entscheidet. In ihrem lesenswerten Buch bilanziert sie, dass es ihrem Großvater nicht gerecht würde, sein ganzes Leben auf das Attentat vom 20. Juli 1944 zu reduzieren.

Sophie von Bechtolsheim gewährt in „Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter“ nicht nur tiefe Einblicke in ihre Familie. Sie ermutigt uns gewissermaßen auch, uns mit unserer Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Und sie kommt letztlich zu wichtigen Fragen, die auch wir uns bei alledem stellen sollten: „Würden wir merken (…), wenn wir heutzutage mit vielen, zu vielen Leuten, (…) einem Zeitgeist anhingen, der sich als schädlich und gefährlich erweisen würde? Würden wir die Gefahren wittern, die womöglich für andere Menschen entstünden? Würde ich es bemerken und würde ich es mir eingestehen? Vor allem wenn ich mit meiner Einschätzung ziemlich einsam dastünde? Was würde ich tun? Hätte ich überhaupt den Mut, etwas zu tun?“

Text: Jürgen Endres